Rita Ernst: Siracusa I, 2004,  Acryl auf Leinwand, 120x120 cmRita Ernst





Das Paradies ist streng geometrisch



Die Malerin Rita Ernst in der Galerie Spielvogel

Im kräftigen grünen Bildgrund sitzt ein großes rotes Quadrat, flankiert von blauen, roten, braunen, schwarzen und weißen Balken, Karos und Rechtecken. Angst vor Buntheit hat Rita Ernst jedenfalls nicht. Die 1956 in Windisch in der Schweiz geborene Künstlerin kann der konstruktiv-konkreten Kunst zugerechnet werden. Sie bildet nichts ab und hält sich streng an geometrische Grundformen, die sie durch Überschneidungen, Verbindungen und Weglassungen in ein bizarres Formenvokabular überführt.
Sie ist eine Systematikerin, die ihre eigenen Systeme spielerisch unterläuft, indem sie Farbrhythmen folgt und zufällig sich ergebende Strukturen mit aufnimmt. In ihrer neuen Serie "Paradiesgärten" stellt sie unter Beweis, wie frei sie mit vorgefundenen oder selbst entwickelten Schemata umgeht. Die Paradiesgärten nennt sie ein "Progetto Siciliano", weil sie auf ein Konvolut an Gartenplänen zurückgehen, das sie im Stadtarchiv von Palermo aufgespürt hat. Diese Grundrisse zeigen sämtlich islamische Gärten, die allerdings nicht aus der Zeit der Kalifen stammen, sondern aus der der Normannen, die die fatimidische Gartentradition wieder aufnahmen. Hauptkennzeichen der islamischen Gartenanlagen ist eine strenge geometrische Ordnung, die sich an einem Achsenkreuz, die vier Himmelsrichtungen symbolisierend, orientiert. In der Mitte gibt es ein Wasserbecken oder ein ganzes System von Wasserläufen, die von Wegen und Schatten spendenden Bäumen gesäumt werden. Zusammen mit den Blumenbeeten war eine solche Anlage wie eine Symphonie aus Farben, Formen und Düften komponiert.
Rita Ernst unternahm mit ihren Bildern den Versuch, den Plänen wieder Leben einzuhauchen. Mit leuchtendem Blau, den Gelb- und Goldtönen und dem frischen Grün des Grases entwickelt ihre Malerei ein flirrendes Farbenmuster, das gleichwohl einer strengen, aber sichtbar intuitiven Ordnung unterliegt. Ausschweifungen, Pathos und Sinneslust ist in ihrer Kunst nur den Farben gestattet. Vielleicht nennt sie sich deshalb einen "barocken Minimalisten". Mit Titeln wie "Susa", "Catania", "Ashir" erinnert sie an die Orte, in denen die Gärten einst lagen. Sie selbst hat dort in der Gegend seit einiger Zeit ein Atelier. In Verbindung mit der Sonne, der Landschaft, den Farben und Gerüchen von heute haben diese alten Pläne in ihrer Fantasie eine Vorstellung von Paradies ausgelöst, wovon sie in ihren Bildern Zeugnis ablegt.

Hanne Weskott
Süddeutsche Zeitung, 23. April 2001

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